Israel, Kämpfe

Zehntausende Menschen verlassen die Region Rafah, dort eskaliert die humanitäre Lage immer mehr.

10.05.2024 - 05:02:11

Israel setzt Kämpfe in Rafah fort. Israel zeigt sich jedoch von Drohungen der USA mit Waffenbeschränkungen unbeirrt. Die News im Überblick.

Die israelische Armee setzt nach eigenen Angaben ihren umstrittenen Einsatz im Osten der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen fort. Die Einsatzkräfte seien dabei, von Terroristen genutzte Infrastruktur zu zerstören und das Gebiet zu sichern, teilte die Armee mit. Zudem seien Dutzende Terroristen getötet sowie Tunnelschächte und Waffen entdeckt worden. Unabhängig sind die Angaben bisher nicht zu überprüfen.

Die israelischen Streitkräfte waren in der Nacht zum Dienstag mit Bodentruppen in die östlichen Außenbezirke von Rafah vorgerückt. Nach UN-Angaben flohen seitdem 110.000 Menschen aus der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt an der Grenze zu Ägypten. Das militärische Vorgehen nährt Befürchtungen, dass dies der Beginn einer Großoffensive auf die Stadt sein könnte, in der sich mehr als eine Million Binnenflüchtlinge aufhalten sollen.

Die USA, Israels wichtigster Verbündeter, warnen das Land eindringlich vor einem derartigen Schritt. US-Präsident Joe Biden drohte sogar mit der Beschränkung von Waffenlieferungen. Auch Deutschland sieht eine mögliche Großoffensive Israels in Rafah kritisch. Die israelische Führung will nach eigenen Angaben wiederum in Rafah die letzten dort vermuteten Bataillone der islamistischen Hamas zerschlagen.

Doch Israel will sich auch durch wachsenden Druck seines engsten Verbündeten USA nicht von seinem Kriegskurs im Gazastreifen abbringen lassen. «Wenn wir für uns alleine stehen müssen, dann werden wir für uns alleine stehen», sagte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in einer Videobotschaft.

Armee: Vier israelische Soldaten in Stadt Gaza getötet

Bei Kämpfen im nördliche Gazastreifen sind nach Angaben der israelischen Streitkräfte vier Soldaten getötet worden. Alle vier seien 19 Jahre alt gewesen, hieß es in der Mitteilung der Armee. Sie kamen offenbar in Al-Saitun, einem Viertel der Stadt Gaza, bei der Explosion eines Sprengsatzes ums Leben, wie der Sender Kan berichtete.

Die Armee hatte kurz zuvor Kämpfe mit der islamistischen Hamas-Miliz in Al-Saitun bestätigt, die schon die letzten Tage hindurch andauerten. Dabei seien Hamas-Terroristen getötet und von ihnen genutzte Infrastruktur zerstört worden, hieß es in der Mitteilung der Streitkräfte. In einem Schulgebäude fanden die Soldaten Waffen und Munition der Hamas. Die Angaben lassen sich bisher nicht unabhängig überprüfen.

Hamas greift erneut Grenzübergang mit Mörsergranaten an

Die Hamas griff erneut den israelischen Grenzübergang Kerem Schalom an. Der militärische Arm der Terrororganisation, die Kassam-Brigaden, reklamierten den Angriff mit Mörsergranaten bei Telegram für sich. Es ist der vierte Angriff der Hamas auf Kerem Schalom seit Sonntag.

Die für Palästinenserangelegenheiten zuständige israelische Behörde Cogat schrieb: «Die Hamas hat gerade auf Kerem Schalom geschossen, den wichtigsten Übergang für humanitäre Hilfe nach Gaza.» Cogat warf der Hamas vor, sie tue «alles, um zu verhindern, dass Hilfslieferungen zu den Menschen in Gaza gelangen».

Israelische Demonstranten hatten in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder versucht, Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu blockieren. Sie argumentieren, die Lieferungen ermöglichten es der Hamas, im Krieg gegen Israel weiterzukämpfen. Es sei widersinnig, für die Versorgung des Feindes zu sorgen.

Kerem Schalom war erst am Mittwoch nach mehrtägiger Schließung wieder geöffnet worden. Nach dem Raketenangriff der Hamas am Sonntag, bei dem vier israelische Soldaten getötet wurden, war er geschlossen worden.

Israels Armee trainiert für größeren Krieg mit Libanon

Derweil trainiert die israelische Armee für die Möglichkeit eines größeren Kriegs mit dem nördlichen Nachbarland Libanon. Das Militär teilte mit, im Verlauf der Woche hätten Reservisten einer Brigade verschiedene Übungen abgehalten, «um die Bereitschaft an der nördlichen Grenze zu verbessern». Ziel seien Einsatzbereitschaft und Vorbereitung «auf verschiedene Kampfszenarien».

Das in Galiläa im Norden des Landes abgehaltene Training habe Kampfsituationen im Libanon simuliert. Infanterie sowie gepanzerte Truppen hätten gemeinsam mit Soldaten von Logistik- und Kommunikationseinheiten die Zusammenarbeit in unwegsamem Gelände trainiert. Andere Truppen hätten außerdem auch mit der Luftwaffe dafür geübt, «Bodentruppen in feindlichem Gebiet rasch aus der Luft zu versorgen».

Treibstoffnotstand im Gazastreifen: Krankenhäuser vor dem Aus

Humanitäre Helfer in Rafah berichten derweil von verheerenden Zuständen. «Ich arbeite seit fast 30 Jahren bei humanitären Großeinsätzen und war noch nie in eine so verheerende, komplexe und unberechenbare Situation involviert wie diese», sagte Hamish Young, Nothilfekoordinator des UN-Kinderhilfswerks Unicef. «Die Notlage im Gazastreifen hat ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht», sagte der Vertreter des UN-Nothilfebüros OCHA, Georgios Petropoulos. Beide waren in Rafah und sprachen über Videolink mit Reportern in Genf.

Fünf Krankenhäuser, 17 kleinere Kliniken, fünf Feldlazarette, zehn mobile Ärzteteams und 28 Krankenwagen müssten innerhalb von 24 Stunden ihre Dienste einstellen, wenn nicht dringend benötigtet neuer Treibstoff geliefert werde, sagte Petropoulos.

Die Straßen Richtung Norden seien verstopft. Das von Israel als Sicherheitszone ausgewiesene Gebiet Al-Mawasi nahe der Küste sei völlig überfüllt. Familien buddelten Löcher neben ihren Zelten in den Boden, um ihre Notdurft zu verrichten.

Über die Grenzübergänge Rafah und Kerem Schalom kämen seit Tagen praktisch keine Hilfsgüter mehr in den Gazastreifen, vor allem kein Benzin, sagte Petropoulos. Ohne das seien aber die grundlegendsten Bedürfnisse der Menschen nicht mehr zu befriedigen. Krankenhäuser, Banken, Kommunikationsfirmen und die Trinkwasseraufbereitung brauchten Benzin für Generatoren, um rudimentäre Dienste aufrechterhalten zu können. Die Müllabfuhr sei teilweise eingestellt worden, ebenso die Abwasserentsorgung in bestimmten Gebieten.

«Wir brauchen sofort Treibstoff», sagte Young. «Hilfe muss reinkommen. Die Geiseln müssen freigelassen werden. Rafah darf nicht eingenommen werden. Und Kinder müssen geschützt werden, nicht getötet.»

Ägypten will Konfliktparteien mit USA zu Flexibilität drängen

Ägypten will die Konfliktparteien mit den USA zu mehr Kompromissbereitschaft in den Verhandlungen zu einer Waffenruhe bewegen. Ein Sprecher des ägyptischen Außenministeriums teilte nach der jüngsten ergebnislosen Verhandlungsrunde in Kairo mit, US-Außenminister Antony Blinken und sein ägyptischer Amtskollege Samih Schukri hätten in einem gemeinsamen Telefonat betont, wie wichtig es sei, «die Parteien dazu zu drängen, Flexibilität zu zeigen». Alle notwendigen Bemühungen müssten unternommen werden, um eine Vereinbarung über eine Waffenruhe und eine Freilassung von Geiseln zu erzielen.

Das Außenministerium in Washington teilte mit, Blinken habe in dem Gespräch mit Schukri die Position von US-Präsident Joe Biden unterstrichen. Demnach würden die USA keinen größeren Militäreinsatz Israels in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen unterstützen und jegliche Zwangsvertreibung von Palästinensern aus dem Gazastreifen ablehnen. Blinken habe zudem Unterstützung für die Wiedereröffnung des Grenzübergangs von Rafah nach Ägypten geäußert, damit dringend benötigte Hilfe den Gazastreifen erreichen kann.

Vor einigen Tagen hatte es Anzeichen für eine mögliche baldige Einigung gegeben. Bei den Gesprächen geht es um eine Waffenruhe und die Freilassung von Geiseln aus der Hand der islamistischen Hamas im Austausch für palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen. Am Donnerstag wurden sie unterbrochen - die Zeitung «New York Times» sprach von einem Rückschlag.

@ dpa.de